Gudrun Nilius

In 100 Tagen eine Freundin

 

Taschenbuch, 116 Seiten

ISBN 978-3-946185-22-2

 

Roman in Einfacher Sprache

 

Irini lebt seit 2 Jahren in Deutschland.

Bisher hat sie hier noch keine Freundin gefunden.

Das will sie ändern.

 

 

 

 

 

 

Erscheinungstermin: 16.01.2020

Leseprobe

 

100 Tage - und eine originelle Idee
„Da hängt ja immer noch das doofe Plakat“, denkt Irini. Das Plakat ist schon seit Wochen da.
Irini wartet auf den Bus. Gegenüber ist auch eine Bushaltestelle. Dort hängt das Werbeplakat.

Das Plakat zeigt eine hübsche junge Frau im Bikini. Neben der Frau steht in großen Buchstaben:


„In 100 Tagen zur Strandfigur!“
In kleinerer Schrift steht noch auf dem Plakat:
„Schlank und schön durch den Sommer!
Sexy und selbstbewusst am Strand:
Wir zeigen Ihnen, wie Sie in 100 Tagen eine Top-Figur bekommen.“


Irini ärgert sich über diese Werbung.
Sie findet, dass jeder Mensch an den Strand gehen kann.

Jeder kann sich dort im Bikini oder in der Badehose zeigen. Dafür muss man keine Diät machen.
Irini findet auch, dass ganz unterschiedliche Körper schön sind. Nicht nur die Körper von Models.
Irini muss an ihre beste Freundin Dora denken. Die beiden Frauen kennen sich seit der Schulzeit.

Als junge Mädchen waren sie oft gemeinsam am Meer. Damals waren beide kritisch mit ihrem Körper.

Sie haben einige Schönheitsfehler an sich gefunden.
Irini hat gedacht: ‚Ich bin zu groß. Ich habe zu kräftige Beine.‘
Irini und Dora haben miteinander über ihre Unsicherheiten gesprochen.
Sie haben sich gegenseitig gesagt, was sie aneinander schön finden.

Manchmal haben die beiden auch Komplimente von anderen Menschen bekommen.
Von Frauen und von Männern.Und irgendwann haben sie beschlossen:
Wir sind gut, so wie wir sind.
Wir sind schön, so wie wir sind.
Und andere Menschen auch.
Jeder Mensch hat Schönes an sich.

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Irini ist 34 Jahre alt und mit Andreas verheiratet.

Andreas sagt ihr, dass sie schön ist. Ihm gefallen ihre Beine. Und ihm gefällt, dass sie groß ist.
Andreas ist selbst ein großer Mann.

Wenn Irini im Sommer am Meer ist, geht sie an den Strand. Sie macht vorher keine Diät.
Irini fühlt sich jetzt wohl in ihrem Körper. Nur ganz selten kommen die alten Gefühle zurück.

Dann schreibt Irini schnell auf dem Handy eine Nachricht an Dora:
‚Hier sind so viele hübsche Frauen. Ich finde mich heute gar nicht hübsch.‘
Dann schreibt Dora zurück:
‚Du bist wunderschön!‘
Umgekehrt machen sie es genauso. Auch Dora zweifelt nur noch ganz selten an sich.
Aber wenn es passiert, schreibt sie eine Nachricht an Irini. Und Irini schreibt zurück:
‚Du bist eine sehr attraktive Frau!‘ Dann ist alles wieder in Ordnung.

Irini schaut noch einmal auf die Frau im Bikini. ‚Diese Werbung braucht kein Mensch‘, denkt sie.

Dann blickt Irini auf ihr Handy. ‚10 nach 9. Gleich muss der Bus da sein.‘
Auf der anderen Straßenseite kommen 2 Frauen gemeinsam zur Bushaltestelle.
Die beiden Frauen unterhalten sich lebhaft und lachen dabei immer wieder.

Sie sind vertraut miteinander. Bestimmt sind sie Freundinnen. Freundinnen …
Irini hat sich in den letzten Monaten oft eine Freundin gewünscht.
Sie hat Freundinnen. Aber die meisten sind in Griechenland, wie Dora.
Irini ist vor 2 Jahren mit ihrem Mann und ihrer Tochter von Griechenland nach Deutschland gezogen.

Sie sieht ihre griechischen Freundinnen 1 Mal oder 2 Mal im Jahr.
Hier in Deutschland hat Irini keine Freundinnen. Sie kennt inzwischen einige Leute, auch einige Frauen.
Die meisten Frauen kennt Irini nur ein bisschen. Manche findet sie sympathisch, manche nicht.
Am Anfang hat sie gedacht:

‚Wenn ich ein paar Wochen hier bin, lerne ich Leute kennen. Dann finde ich auch eine Freundin.‘
Jetzt, nach 2 Jahren, weiß sie: So einfach ist es nicht.
Irini hat Leute kennengelernt. Aber aus einer Bekanntschaft muss erst eine Freundschaft werden.
Das kann ganz unkompliziert und einfach sein. So war es vor 20 Jahren bei Irini und Dora.
Aber hier in Deutschland hat Irini gemerkt: Es kann schwer sein, eine Freundin zu finden.

Und die deutsche Sprache macht es noch schwieriger. Irinis Muttersprache ist Griechisch.
Irini kann inzwischen ganz gut Deutsch. Aber in manchen Situationen muss sie sich überwinden,

jemanden anzusprechen. Irini weiß, dass sie einen griechischen Akzent hat.
Sie weiß, dass sie im Deutschen Fehler macht. Manchmal ist ihr das egal.
Manchmal ist ihr das aber unangenehm.


„In 100 Tagen zur Strandfigur!“ So steht es immer noch da.

Da schießt ein Gedanke wie ein Blitz in Irinis Kopf:
‚In 100 Tagen eine Freundin!‘ Genau! Das ist es!
‚Ich brauche keine Strandfigur. Ich habe eine Figur, und die ist gut genug für den Strand.

Aber ich brauche eine Freundin!‘
Plötzlich ist Irini ganz wach: ‚Das ist jetzt mein Projekt: In 100 Tagen eine Freundin!‘
Der Bus kommt. Irini steigt ein und setzt sich. Sie ist richtig vergnügt.
Irini denkt: ‚Wenn die Freundinnen nicht von alleine kommen, muss ich selbst etwas machen.

Ich muss aktiv werden.
Ich gebe mir 100 Tage Zeit. In diesen 100 Tagen versuche ich, einiges zu unternehmen. Ich versuche, mit einer Frau eine Freundschaft anzufangen.‘