Cover von Frau Else gibt ein Interview: Eine alte und eine junge Frau sitzen sich gegenüber. Die junge Frau schreibt etwas auf. Im Hintergund eine Karte von Deutschland, Pfeile zeigen von Osten her darauf..

Jürgen Heimlich

"Frau Else gibt ein Interview"

 

Taschenbuch, 115 Seiten

ISBN: 978-3-946185-12-3

 

Eine wahre Geschichte über Krieg, Flucht und die Liebe.

 

Rezensionen:

Frau Else gibt ein Interview

 

Vorgeschichte

 

Ich bin Feuer und Flamme.

Marie wird mein Haar toupieren.

Bald ist es soweit.

Ich bin nervös und warte.

Noch einmal schaue ich in den Spiegel.

Ich sehe ein altes Gesicht.

92 Jahre alt!

Und doch ist es ein schönes Gesicht.

Mein ganzes Leben zeigt sich in diesem Gesicht.

 

Endlich ist Marie da.

Sie lächelt mich an.

Und dann fragt sie: „Wie geht es Ihnen, Frau Else?“

Ich zeige auf den Spiegel.

„Gut, sehr gut, das steht fest!“

 

Marie richtet mir das Haar.

Ich habe langes, volles Haar.

Schlohweißes Haar.

Sie bürstet es kräftig.

Sie fragt: „Tut es Ihnen auch nicht weh?“

Ich schüttle mit dem Kopf.

„Mir geht es gut, keine Sorge!“

 

Vor einiger Zeit habe ich einen Anruf bekommen.

Eine Frau hat mich nach meinem Namen gefragt.

Ihre Stimme klang zärtlich.

„Ich bin Else“, habe ich geantwortet.

Die Frau sagte:

„Wir suchen ältere Menschen für Filmaufnahmen.

Wir haben von Ihrer Geschichte gehört.

In einer Zeitung standen ein paar Zeilen über Sie.

Else, die Unerschütterliche!

Wir wollen Ihre Erinnerungen einfangen.

Das Leben ist so kostbar.

Wir müssen uns kennenlernen.“

 

Nun ist es also soweit.

Ich schaue auf die Uhr im Wohnzimmer.

„Sie sollten schon da sein“, denke ich laut.

Zehn Minuten später klopft es an die Tür.

Marie öffnet und lässt den Besuch herein.

Ich begrüße zwei Männer und eine Frau.

Die Frau stellt sich vor: „Ich bin Svetlana. Wir freuen uns auf die Zeit mit Ihnen!“

Svetlana streichelt mir die Wange.

 

Der erste Mann verbeugt sich: „Ich bin Richard. Ich werde die Aufnahmen machen.“

„Ich bin aufgeregt“, sage ich.

„Das müssen Sie nicht sein“, sagt der zweite Mann.

Er deutet einen Handkuss an.

„Ich heiße Werner. Ich bin das Küken des Teams.“

 

Meine drei Besucher schauen sich um.

Svetlana sagt: „Wir werden die Aufnahmen hier machen.“

 Das begrüße ich sofort.

In meinem kleinen Reich fühle ich mich wohl.

 

Svetlana sagt: „Wir freuen uns schon sehr! Sie haben sicher viel zu erzählen.“

Das Mädchen gefällt mir. Sie trägt ein hübsches Kleid.

„Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll“.

Svetlana legt ihre Hand sanft auf meinen Arm.

„Sie schauen perfekt aus. Und Sie werden Ihre Sache perfekt machen.“

 

Es ist Essenszeit.

Marie schiebt den Rollstuhl.

Im Speisesaal sitzen schon viele Heimbewohner.

Einige kenne ich seit Jahren.

Marie bringt mich zu meinem Tisch.

Diesmal werde ich mit meinen Gästen essen.

 

Marie sitzt mit am Tisch.

Sie ist mein ruhender Pol.

Sie gibt mir immer wieder Lebensmut.

Sie ist meine Pflegerin.

Jeden Tag kämmt sie mir das Haar.

Sie wäscht mich.

Sie hilft mir beim Anziehen.

Sie schiebt den Rollstuhl. 

 

Zum Nachtisch gibt es Schokokuchen.

Der Speisesaal ist jetzt voller Menschen.

 

Ich werde im Rampenlicht stehen.

Nie bin ich im Rampenlicht gestanden.

Doch diesmal wird es so sein.

 

Richard sagt: „Wenn Sie bereit sind, dann können wir anfangen.“

Ich nicke. „Ja, ich denke, ich bin bereit.“

Nach Speis und Trank werde ich zum Filmstar.

Gemeinsam verlassen wir den Speisesaal.